Bewertungen und ihre Folgen für den Alltag
Ich gestehe, der Winter gefällt mir nicht. Es ist mir zu kalt. Die Straßen und Gehwege sind oft gefährlich rutschig, der Schnee schmilzt zu schmutzig-grauem Matsch. Ich merke, dass ich noch eine ganze Weile negative Bemerkungen über den Winter machen könnte. Während ich das schreibe, kommen mir andere Bilder. Positivere. Schönere. Eine unberührte weiße Schneedecke. Darüber ein klarer blauer Himmel. Sonne. Kahle Bäume, die im Gegenlicht wie Scherenschnitte wirken. Trockene, freie Straßen. Saubere Fußwege. Das gefällt mir dann doch.
Aber nur für eine kurze Zeit. Ein paar Tage höchstens. Für mich wäre das ausreichend. Und plötzlich fällt mir auf: Ich bin schon wieder am Werten. Am Bewerten. Am Beurteilen. „Was mache ich da bloß?“, frage ich mich. Wir sind Menschen. Alle. Menschen, die nicht perfekt sind. Menschen, die Fehler machen. Oft sogar gegen besseres Wissen. Als Menschen bewerten wir und beurteilen. Ständig. Bewusst und unbewusst. Das ist auch okay so. Denn so haben wir das gelernt und tief verinnerlicht.
Nur: Das, was ich denke (über eine Situation oder einen Menschen), löst unmittelbar Gefühle bei mir aus. Bleibe ich beim obigen Beispiel, dann ist mein negatives Bild des Winters dazu angetan, direkt negative Gefühle bei mir auszulösen. Wenn ich das regelmäßig so mache, hege und pflege ich damit gleichzeitig meine negativen Gefühle. Das Ergebnis: Der Tag wird in meiner Wahrnehmung von Stunde zu Stunde negativer. Meine Laune wird ins Bodenlose sinken. Möglicherweise verdirbt meine schlechte Laune auch den Menschen, die um mich herum sind, den Tag.
Dabei liegen darin gleich zwei Irrtümer:
A: Nicht der Winter ist schuld an den negativen Gefühlen. Vielmehr habe ich mich entschieden, meine Perspektive auf das zu richten, was mir nicht gefällt. Damit habe ich dem viel zu viel Aufmerksamkeit gegeben und so das schlechte Gefühl genährt.
B: Durch das „Starren“ auf das Negative habe ich völlig aus dem Blick verloren, dass es auch positives gibt. Dinge, die mir andere Gefühle beschert hätten: Gefühle von Zufriedenheit und Fröhlichkeit.
Also nehme ich mir vor, weniger zu bewerten. Und ich meine bewusst weniger, denn es ist ein Trugschluss zu glauben, dass wir jemals ganz ohne Bewertungen auskommen werden. Hin und wieder auf eine negative Bewertung zu verzichten ist allerdings durchaus sinnvoll.
In diesem Sinn: Jetzt ist es Winter. Grau-weiß kommt er heute daher. Es lockt mich nicht nach draußen. Stattdessen lese ich. Schreibe. Räume auf. Mache Wäsche. Trinke Kaffee mit meinem Mann. Freue mich, dass ich es mir hier gut gehen lassen kann.
Und Du – wen oder was bewertest Du?
Fällt es Dir auf, wenn Du am Bewerten bist?
Was sind Ergebnisse Deines Bewertens?
Fotos: Erwin Grundler, Überlingen-Aufkirch
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