Darüber müssen wir reden…

Seit Monaten tobt ein Kampf für und gegen Abschottung und Nationalismus. Viele der Auswüchse erschrecken mich – vereinzelt habe ich hier auch bereits Stellung bezogen. Die Debatte, die die CSU jetzt vom Zaun gebrochen hat, ist für mich das Zeichen gewesen, mich nicht mehr still zu ärgern.
Wer mich kennt, weiß, dass Sprache für mich etwas Wichtiges ist und immer schon von Bedeutung war. Darüber müssen wir reden – und zwar jetzt…

 

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, vorab dreierlei:

  1. Es ist mir bewusst, dass wir nicht alle Menschen, die auf der Flucht sind, aufnehmen können. Und ich weiß, dass wir eine Integration brauchen, die diesen Namen auch verdient. In diesem Bereich hat gerade Deutschland in den letzten 50 Jahren vieles unterlassen.
  2. Ich verkenne nicht, dass die Zuwanderung so vieler Menschen Angst machen und Unsicherheit mit sich bringen kann. Angst aber ist schon immer ein schlechter Ratgeber für das Handeln gewesen.
  3. Wohin Rückzug, Einigelung, Abgrenzung, Abschottung, (Rechts)Nationalismus führen, das wissen wir – dazu brauchen wir nur in die jüngere und ältere Geschichte zu schauen. Erst eine Abkehr davon, Versöhnung und ein größerer Zusammenschluss wie Europa, sind für eine lange Friedensphase in unserem Land verantwortlich.

Dies bitte ich, als Grundlage für das Folgende mitzudenken.

Die momentane Debatte, die die CSU aus durchsichtigen und leicht zu durchschauenden Gründen losgetreten hat, sucht ihresgleichen – zumindest wenn die Partei ein “C“ als Symbol für ein Christliches Menschenbild im Namen stehen hat.
Nun wissen wir alle – dank Afd, Trump, FPÖ, Orban etc. – wie schnell sich das Klima in einem Land verändert. Ich für meinen Teil finde es erschreckend, wenn ich sehe, wie schnell Wörter, Begriffe und eine allgemeine Abwertung ganzer Menschengruppen hoffähig geworden sind. Das finde ich beängstigend.

Es ist kein Geheimnis, dass Sprache wirksam ist und wirkmächtige Bilder zeichnet. Das Bewusstsein, das also, was wir glauben und denken, findet Ausdruck in unserer Sprache. Gleichzeitig schafft das, was wir sagen und hören, auch das, was wir denken und glauben. Deshalb ist wichtig, was wir sagen und wie wir es sagen. Und: Sprache kann natürlich sehr gezielt für bestimmte Zwecke eingesetzt werden. Auch das können wir inzwischen beinahe täglich in der Zeitung lesen.

Beispiele gefällig?
In den 80-er und 90-er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es den Satz „Das Boot ist voll“. Wir alle sehen, wenn wir ihn hören, als inneres Bild volle Boote, in die nichts mehr hineinpasst. Sagen wir das immer wieder bzw. hören wir das immer wieder – wie damals in Verbindung mit Asylsuchenden, die nach Deutschland kamen – ist allen schnell klar: Deutschland ist voll! Wir können niemanden mehr aufnehmen. Ob das faktisch so ist oder nicht, spielt dann keine Rolle mehr; das Bild schlägt Wurzeln und bleibt.

Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, spricht die CSU heute vom „Asyltourismus“ (ich weiß, dass der Begriff weder neu ist, noch aktuell von Seehofer, Söder oder Dobrindt erfunden). Auch dieses Wort weckt Bilder in uns: Wir verstehen unter Tourismus in aller Regel folgendes: Reisen, fremde Länder oder Gegenden entdecken, Urlaub, Erholung und Entspannung.
Spricht die CSU heutzutage also vom „Asyltourismus“, zeichnet sie das Bild von freiwilligen Reisen in andere Länder zum Zweck der Erholung. Die Menschen aber, die bei uns Asyl suchen, haben ihre Länder meist nicht freiwillig verlassen: Sie sind auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung, Klimakatastrophen, Armut etc. Mit dem Begriff „Asyltourismus“ fallen das Leid der Menschen und die Fluchtgründe unter den Tisch – wir sehen nicht mehr die Menschen, sondern den Tourismus. Wird das nur oft genug wiederholt, nehmen wir den betroffenen Menschen ihre Würde und ihren Wert.

Im Vergleich zu Begriffen wie „Alles Schmarotzer“, mag sich das Wort „Asyltourismus“ harmlos gebärden – aber die Richtung ist dieselbe: Wenn Menschen mithilfe der Sprache <entmenschlicht> sind, werden sie nicht mehr als Menschen wahrgenommen und man braucht im Umgang mit ihnen auch keine Menschlichkeit mehr. Dann sind Tür und Tor offen für einen Umgang mit ihnen, die diejenigen, die noch an Werte wie Menschlichkeit glauben, schaudern lässt.
Wer Beispiele will, braucht nur Zeitung zu lesen oder Nachrichten anzuschauen. Auch ein Blick in die Geschichte ab ca. 1933 verdeutlicht die Strategie der Entmenschlichung durch Sprache. Die Folgen sind bekannt.

Deshalb ist es wichtig, dass wir genau hinhören. Dass wir uns Gedanken machen über die Begriffe, die heutzutage gängig sind. Dass wir uns bewusstmachen, wie wirkmächtig Sprache ist. Und: Dass wir Widerrede führen, solche Begriffe nicht unwidersprochen stehen lassen und sie nicht selbst benutzen.

„Wer nichts sagt, sagt ja“. Das gilt auch hier. Denn Schweigen ist Zustimmung – ein Nein muss ich sagen, sonst bemerkt es niemand.

 

4 Kommentare
  1. Elvira
    Elvira sagte:

    Liebe Judith,
    deine Offenheit tut gut und macht Mut.
    Allzu schnell rutscht man in die Passivität, in das vermeintliche Nichts-Tun-Können.
    Aber wir können. Wir können kritisch sein und uns nicht kollektiven Stereotypen und Floskeln unserer Politiker anschließen. Wir müssen Fragen stellen und und unbequem sein, uns treu bleiben. Und das Wichtigste, Worte der Menschlichkeit und der Wahrheit sprechen.
    Elvira

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  2. mutigerleben
    mutigerleben sagte:

    Danke, liebe Elvira, Du sprichst mir aus dem Herzen. Und manchmal beschleicht mich der Gedanke, dass das Wenige, das wir tun können, ganz schön viel ist – wenn es Kreise zieht. Dabei steht mir das Bild vor Augen: Ich werfe einen Stein ins Wasser und schaue zu, wie viele Kreise entstehen und wie diese sich ausbreiten. Das kann ein Hoffnungsbild sein – und ein Dennoch-Bild.
    Sonnengrüße
    Judith

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  3. annette
    annette sagte:

    …ich danke dir liebe judith, genau für diese worte….ja dadurch wird menschliches leid von uns fern gehalten….so hat es mit uns nichts mehr zu tun…dahinter kann ich mich verstecken….ich denke an die begrifflichkeit kollateralschäden, die uns auch sand in die augen gestreut hat…..
    achten wir genau auf unsere wortwahl….was aus dem munde hinausgeht, das macht den menschen Matthäus 8,11
    herzlichst
    annette

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  4. mutigerleben
    mutigerleben sagte:

    Liebe Annette,
    danke für Deinen Kommentar. Schön, wieder von Dir zu lesen.
    Ja, da gäbe es eine Unmenge an Beispielen und jetzt fand ich es einfach zu viel. Ich bin davon überzeugt, dass es notwendig ist, darüber zu reden – mit vielen Menschen und immer wieder – und vor allem darauf auzufpassen, was ich selbst sage.
    Sonnengrüße
    Judith

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