Zum Tag der Deutschen Einheit
Am Sonntag wanderten wir mit Katharina und Anike (beide 5 Jahre alt) von Neustadt a.d. Weinstraße/Hambach aus hinauf zum <Hambacher Schloss>. Sie sind noch zu jung für eine Führung in Geschichte und Demokratie, deshalb nahmen wir nicht an einer offiziellen Führung teil, beide nahmen sich einen Prospekt vom Schloss mit nach Hause. Beim Lesen des Prospektes ging mir durch den Kopf: „Wie weitsichtig die Menschen damals waren. Sie wollten Freiheit und ein freies Europa“.
Heute haben wir Europa. Frei? In Teilen ganz sicher, in anderen weniger oder eher nicht. Und was tun viele Menschen heutzutage? Sie sind gegen Europa. Wollen zurück zu Kleinstaaterei. Zum Nationalismus. Zur Abgrenzung. Das alles gab es bereits. Die Geschichte zeigt es auf. Wir könnten wissen, wohin Abkapselung, Zensur, Rechthaberei und ein unreflektiertes <Wir zuerst> führen.
Die Menschen, die 1832 hinauf zum Schloss marschierten, mussten ihre Kundgebung als Volksfest ausgeben – eben weil es eine strenge Zensur gab und politische Kundgebungen verboten waren. So ging diese Versammlung (an der nicht nur Deutsche teilnahmen, sondern auch Franzosen und Polen) unter dem Namen „Hambacher Fest“ in die Geschichte ein.
Heute jährt sich, zum 27. Mal, der Tag der Deutschen Einheit. Ein Anlass zum Feiern? Ja, ganz sicher. Ein Anlass, sich auf Erreichtem auszuruhen? Nein, ganz sicher nicht.
Es ist gut, dass es das vereinigte Deutschland gibt. Das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass viele Menschen enttäuscht sind. Sich übersehen fühlen. Den sicheren Boden unter ihren Füßen verloren haben – wie auch immer der sichere Boden aussah. Zugehörigkeitsgefühl, ein menschliches Grundbedürfnis, kann auch in der Diktatur leben. Und wenn es das damals gab, seit der Einheit aber nicht mehr gespürt und wahrgenommen wird, dann ist das mehr als bedauerlich, es ist gefährlich. Denn dann wird das <Alte> unreflektiert verherrlicht. Das „früher war alles besser“ hat noch nie zu einer sinnvollen Veränderung beigetragen – einmal davon abgesehen, dass es meist auch nicht stimmt (es war anders). „Erinnerung verklärt“, sagte meine Oma immer.
Was also tun? Feiern, dass wir in Freiheit und Demokratie leben. Sich für die Demokratie einsetzen. Jede und jeder einzelne. Die eigene Haltung überprüfen. Dinge hinterfragen und vor allem eines nie vergessen: Freiheit verlangt Verantwortung, Selbstver-antwortung. Das ist anstrengend, unbequem und manchmal auch ungewohnt, aber der Preis, den wir für unsere Freiheit in einem demokratischen Land und einem vereinigten Europa zahlen.
Ich finde, das lohnt sich.
Foto: Erwin Grundler, Überlingen-Aufkirch
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